Auf der Fährte des Rothirsches

Auf der Fährte des Rotwildes
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Christian Elberg

Der Wildnismentor

Beim Lesen der Fährte gibt es zwei Seiten der Medaille:

1. Trittsiegel (Jägersprache für Fußabdruck) und Zeichen zu identifizieren und 2. der Fährte eines Tieres zu folgen und hoffentlich ungesehen das Tier zu finden und zu beobachten.

Es ist Sonntag, der 15. Januar 2023 und ich bin in ein Waldgebiet gefahren, ca. 30min von zu Hause, in dem es größeres Wild wie Wildschweine und Rothirsche gibt. Das ist mein Trailing-Revier, also hier versuche ich, mich immer besser auszukennen, zu lernen, wo die Tiere sind und zu üben ihrer Fährte zu folgen. Es ist Vormittag ca. 10:00h. Das Wetter sonnig mit fast vollständig blauem Himmel und nur wenigen kleinen Wolken, ca. 6°C und etwas böiger Wind aus Süden. Die Landschaft ist ein Wald mit vielen Kiefern, ein paar Eichen und Birken, manchmal eine Buchenparzelle und viel Graslandschaft, teilweise mit Moosbewuchs. Die Wege und der Untergrund sind aus Sand. Ich nenne die Landschaft „Savanne“, denn die Bäume stehen sehr licht und man kann sehr weit sehen; aber auch gesehen werden.

 

Es ist immer gut, sich vorher zu überlegen, was will ich eigentlich und warum.

Das gibt dem Vorhaben immer viel mehr Kraft und Erfolg. Mein Plan war es, dass ich mich treiben lasse, entspanne und verbinde und ein Trailing nur zu starten, wenn es sich von alleine ergibt. In der Natur sollte man nichts erzwingen.

Auf einem Weg in südliche Richtung finde ich überraschend Hirschfährten nach Osten in den Wald. Ich fühle mich noch nicht „eingetuned“, lasse mich aber auf die Aufforderung ein. Ich fühle immer wieder das Trittsiegel (TS) mit den Fingern, um mich zu verbinden und die Fährte zu bestätigen. Die TS auf dem Waldboden sind einigermaßen gut zu erkennen und ich folge der Spur durch den Wald, gelegentlich verliere ich die Fährte, was normal ist und versuche die möglichen Routen zu bestimmen. Das gelingt nicht immer. Dann lasse ich mich treiben und finde meist intuitiv die frische Fährte.

Der Boden ist mal Laub, Gras, Moos. Nach ca. 100m Wald verliere ich am Ende die Fährte und bin zu faul zurückzugehen. Im offenen Gelände höre ich auf, mache eine kleine Sitzplatz- Einheit an einem Baum und will mich wieder verbinden. Der Plappermann in meinem Kopf legt los, aber ich stoppe ihn und lasse mich weitertreiben.

 

Im nächsten Nadelwald finde ich die frische Fährte einer kleinen Gruppe Rothirsche, wohl Weibchen und Jungtiere.

Die Fährte ist sehr frisch, hebt sich mit dunkler Farbe vom Boden ab und ich kann bequem folgen. Nach dem Wald im Farn wechselt der Untergrund, aber alles ist gut zu erkennen, wie die Tiere den Wildwechsel benutzen. Ich sehe, wie jemand einen Hochsitz verlässt. Ich verlasse die Fährte und gehe zum Sandweg, an dem der Hochsitz steht. Dort entdecke ich Trittsiegel. Die Begegnung mit dem Mann vom Hochsitz, der mir mit Hund entgegenkommt, lasse ich zu. Das ist entspannt, wir grüßen und ich schlage danach einen großen Bogen und nehme die Fährte wieder auf.

Auf dem Sandweg wird sie bestätigt, danach folge ich unsicher bis zu einem Zaun und suche die Stelle auf, wo ich erwarte, dass die Tiere rüber springen. Sie haben es getan und ich folge der Fährte auf den großen rotbraunen Kiefernnadeln. Mit Sand darunter sind die TS gut zu erkennen. Plötzlich tauchen links auf 20m drei bis vier Rothirsche auf, die ich überrasche und aufschrecke. Ich frage mich, ob sie zu meiner Fährte gehören, und folge der Fährte weiter. Am Ende des Waldes vor dem Zaun verliere ich die Fährte und will aufgeben. Aber ich kann dann doch die frische Fährte wieder aufnehmen und weiterverfolgen. Vor dem Hang mit den Buschen sehe ich links ein großes Rudel Rothirsche, 20-30 Tiere. Ich folge, weil ich eine deutliche Fährte erwarte. Ich gehe auf die Kuppe mit dem Buchenwald und sehe nur Wildschweinaufbruchspuren (Nahrungssuche).

Oben finde ich die Fährte wieder und kann in der Landschaft südlich den „schwarzen Streifen“ durchs Gelände sehen. Der Sand unter Laub oder Nadeln ist aufgeworfen, die Tiere waren mindestens im Trab geflüchtet und es ist ein Spaziergang der Fährte zu folgen. Ich sehe die Landschaft und erkenne im Weitwinkelblick unten die Fährte. Sie ist nur Sekunden (!) alt.

Die Fährte führt in die Senke und weil die Tiere in eine langsamere Gangart wechseln, geht weniger Energie in den Boden und die TS werden undeutlicher, sind aber zu sehen. Ich werde unsicher, lasse mich intuitiv treiben und oben auf der Kuppe sehe ich in ca. 70m Entfernung 4 Tiere, der Rest müsste hinter den Bäumen und der Geländekante sein. Ein Tier sieht in meine Richtung, bleibt aber ruhig. Ich verstecke mich hinter einem Baum, beobachte und ziehe mich vorsichtig zurück.

Zu Hause werte ich die Route auf Google-Maps aus und ich habe für das Trailing über 1,4km eine Zeit von 2,5h gebraucht.

 

Es ist für mich mit das intensivste und magischste Erlebnis überhaupt ein Wildtier in freier Wildbahn zu sehen und ihm zu begegnen.

Das ist für mich ein Zeichen sehr tief in der Natur angekommen und verbunden zu sein. Besonders über das Folgen der Spur, was nicht leicht ist, mir manchmal gelingt, meistens aber nicht. Denn das ist schwer. Man muss nicht nur die Fährte auf unterschiedlichen Untergründen erkennen, sondern auch wachsam sein, dass man keinem Jäger oder Förster begegnet. In anderen Gebieten wären es Braunbären oder Löwen.
Außerdem muss man auf Vogelalarm achten und darf keine anderen Tiere aufschrecken. Man möchte aber die gut getarnten und sehr aufmerksamen Tiere sehen, ohne selbst gesehen zu werden. Dazu muss man innerlich ruhig sein und sich sehr harmonisch, wie ein Geist durch die Landschaft bewegen.

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