Was ist Coyote Teaching? Wo kommt der Kojote her?
Das Coyote Teaching ist kurz gesagt die Lehrmethode, mit der Naturvölker ihre Kinder unterrichteten. Es ist eine unsichtbare Schule, in der der Schüler, die Schülerin* gar nicht merkt, wie er/sie etwas lernt. Aber dazu gehört ein Lehrer. Und dieser Lehrer ist eher ein Mentor, also ein erfahrener Erwachsener, der den Schüler (Mentee) gut kennt. Denn um gut zu lernen, bedarf es einer BE-ziehung nicht einer ER-ziehung, wie wir heute unser Schulsystem verstehen.
Der Kojote gilt in der nordamerikanischen Mythologie als Trickser.
Einer der immer eine List auf Lager hat. Er ist ein hundeartiges Tier, von der Größe zwischen Fuchs und Wolf, der praktisch einen Großteil des amerikanischen Kontinentes belebt. Seine Eigenschaften sind seine Anpassungsfähigkeit, mit der er in der Lage ist, in fast jeder Umgebung erfolgreich zu überleben. Sogar in bzw. am Rande der menschlichen Zivilisation. Damit ist er aber auch ein Grenzgänger. Gleichzeitig gilt er als Hüter des Wissens und der Weisheit (Keeper of knowledge). Genau diese Eigenschaften nimmt sich der Mentor zum Vorbild.
Natürlich befindet der Mentor sich prinzipiell in einer Vorbildrolle und lehrt allein schon dadurch, wie er selbst lebt. Aber nachhaltiges Unterrichten funktioniert nicht an einer Tafel an der um 12h Thema 1, um 13h Thema 2 und um 15h Thema 3 vorgetragen wird. Der Mentor kennt seinen Schüler und weiß, wo dessen Grenzen liegen und unterstützt dabei, die Grenzen zu erweitern. Dazu bedient er sich der Kunst des Fragenstellens.
Antworten werden meist nicht direkt gegeben, sondern weitere Fragen gestellt, die das Bewusstsein und die Aufmerksamkeit des Schülers ausdehnen.
Behutsam! Hier werden 3 Stufen unterschieden:
- Die Fragen der Stufe 1 bewegen sich in der Komfortzone und dem Wissensbereich des Schülers. Er kennt die Antwort. Damit werden Vertrauen und Verbindung geschaffen.
- Die Fragen der Stufe 2 liegen an seiner Grenze. Er kann sie wahrscheinlich beantworten, muss sich aber evtl. strecken oder sich um die Antwort bemühen. Aber es ist noch ein erreichbares Ziel. So erwirbt er Selbstvertrauen und natürlich auch Motivation für weiteres Forschen.
- Die Fragen der Stufe 3 befinden sich außerhalb seines Wissens- und Aufmerksamkeitsbereich. Jetzt ist Neugierde, Ehrgeiz und auch Initiative des Schülers gefragt, sich die Antwort selbst zu holen. Dazu bekommt er vom Mentor allenfalls Hinweise und „Stupser“, damit ihm die richtige Tür geöffnet wird. Aber es kann auch sein, dass der Mentor ihn bewusst auf eine falsche Fährte lockt, damit bestimmte Erfahrungen gemacht werden. Hier kommt der Trickser im Coyote Teaching ins Spiel.
Auf diese Weise geht das Lernen nicht unbedingt schnell, aber sehr intensiv und nachhaltig. Gerade beim Lernen über die Natur, geht es auch darum in der realen Umgebung mit allen Sinnen multidimensionale Erfahrungen zu machen.
Ein altes Zitat besagt: „Angesammeltes Wissen hat keinen Wert. Verwandle es mit Erfahrung in Weisheit“. Die Schülerin holt sich also das Wissen selbst, aber der Mentor bereitet den Lernraum und gibt die nötigen Impulse, die ganz persönlich auf die Person zugeschnitten sind. Dabei nimmt der Mentor sich zurück. Sein Ziel ist es nicht, der Schülerin sein eigenes Wissen überzustülpen. Diese macht ihre eigenen Erfahrungen.
Lernen kann nur mit einem Bedürfnis funktionieren und es muss für die Schülerin Sinn haben. Dann findet das Lernen mit Begeisterung und „WoW-Effekt“ statt
Beim Lernen in der Natur mittels Coyote Teaching geht es besonders um die Verbindung zur Natur, zu allen Lebewesen, denen begegnet werden kann. Die Verbindung zwischen Mentor und Schüler spielt ebenso eine wichtige Rolle wie auch die Verbindung des Schülers zu sich selbst.
Man stelle sich ein Beispiel vor. Ein Kind hat eine Pflanze mit Blüte gesehen, rennt zumLehrer und fragt, welche Blume das ist. Würde der Lehrer als Antwort den Namen geben, glaubt sich die Schülerin am Ziel, und interessiert sich nicht weiter für die Pflanze. Aber mit dem Namen hat sie praktisch nichts über die Pflanze gelernt.
Der Coyote Teacher würde Fragen stellen:
„Welche Farbe hat die Blüte?“, „Wieviele Bütenblätter gibt es?“, „Welche Form haben die Blätter?“, „Wie ist der Stengelansatz?“ Hat der Stengel Haare?“, „Wo wächst die Pflanze?“, „Ist sie dort zu jeder Jahreszeit?“. Es gibt beinah unendlich viele Fragen. Dazu müsste die Schülerin jetzt wieder zur Pflanze und sie genau beobachten. Wahrscheinlich sogar öfter. Gerade bei Pflanzen bietet sich an, sie abzuzeichnen. Die Zeichnung muss nicht gut aussehen, aber das Zeichnen selbst hilft beim Sehen. Wenn die Schülerin sich 20min Zeit nimmt, die Pflanze zu beobachten, dann wird ihr nach 5min langweilig, nach 10min hat sie das Gefühl, alles gesehen zu haben, nach 15min geht nochmal eine große Tür auf, und nach 20min wird sie die Pflanze nie wieder vergessen. Sie ist in ihr Unterbewusstsein eingedrungen. Oft kommen die Antworten auf Fragen nicht sofort. Manchmal lassen sie sich Tage, Wochen oder Monate Zeit. Natürlich darf auch Buchrecherche o.ä. genutzt und ausgereizt werden. Hier zeigt sich das Engagements des Schülers, der Schülerin etwas wirklich wissen zu wollen.
Zurückblickend kann man oft überrascht feststellen, was man alles gelernt hat, wie viele Erfahrungen man gesammelt hat, schöne Momente erlebt hat, die in einem „abgespeichert sind“ und das eigene Leben sehr bereichern und wertvoll machen. Man kann viel über einen Rotfuchs lesen, evtl. Videos und Dokumentationen sehen. Das ist auch gut und im Winter eine schöne Beschäftigung mit dem Tier. Aber Tonnen von Informationen können nicht ein paar Momente ersetzen, in denen man das Tier draußen gesehen und beobachtet hat. Diese kleinen
„Filme“ werden einem immer in Gedächtnis bleiben. Warum wohl?
*Schüler und Schülerin kommen im Text abwechselnd vor, es sind damit immer beide Geschlechter angesprochen.